Ob es gelingt, eine jugendliche Perspektive auf das Thema „Liebe” zu bekommen? Drei Wochen lang war ich skeptisch, ebenso wie Anna vom Jugendclub Meiendorf am Finnmarkring. Die meisten seien zu cool, um über so ein persönliches Thema öffentlich zu sprechen, erzählt sie lachend. Doch Anna gibt nicht auf und findet tatsächlich eine junge Frau, die sich Zeit nimmt, am Freitag nach der Arbeit auf meine Fragen zu antworten. Ihr Lächeln und ihre leuchtend roten Haare begrüßen mich an diesem grauen Spätnachmittag. Im Text möchte sie Chihiro genannt werden, weil sie die japanischen Animes aus dem Ghibli-Studio mag. Wir setzen uns auf eine Treppe vor dem Jugendclub, ich stelle mein Aufnahmegerät in eine Tasse und es geht los. 

Annehmen und geben
Was Chihiro persönlich mit dem Begriff „Liebe” verbindet? Die Antwort, die sich nicht nur auf die Liebe zwischen Mann und Frau bezieht, klingt wunderschön: „Ich denke, eine Person wertzuschätzen, in der Weise wie sie auch ist. Eine Person anzunehmen, wie sie ist. Das ist in meinen Augen auch schon Liebe. Es muss nicht unbedingt in einer Beziehung sein, sondern auch unter Freunden oder der Familie und auch füreinander da zu sein und Unterstützung anzubieten oder zu geben. Das zeigt für mich schon, dass man sich in einer gewissen Art und Weise liebt.” Der Fokus liegt für sie also allgemein in der Wertschätzung und der Unterstützung einander nahestehender Menschen.

Wen sie liebt? Vor allem ihre Familie, ihre Freunde und Haustiere. Leider ist ihr Hase, der wie ein Familienmitglied war, vor ein paar Monaten gestorben.

Momente der Unterstützung
Die nächste Frage bezieht sich auf Momente in ihrem Leben, wo sie sich besonders stark geliebt gefühlt hat. Chihiro erinnert sich, dass das immer dann der Fall war, wenn sie jemandem etwas erzählte, das sie belastet hat und dann Unterstützung erfuhr. Sie weiß, dass andere Menschen manchmal gerade dann, wenn sie sich verletzlich zeigen, eher verurteilt werden und in der Folge nichts mehr von sich preisgeben. 

In love
Dann sprechen wir über das Gefühl der Verliebtheit, das sie schon einmal erlebt hat. Ihre Empfindungen dazu beschreibt sie wie folgt: „Man möchte immer bei der Person sein, man denkt nur noch über diese Person nach, man guckt dann auch auf Instagram, was die Person so macht und wenn man jetzt zum Beispiel nicht so viel Kontakt mit der Person hat oder wenn man weiß, dass die Person einen nicht liebt oder selbst in einer Beziehung ist, dann hab ich auch schon für mich erlebt, dass Verliebtsein auch sehr schmerzhaft sein kann… also zu wissen, die Person will nix von mir. Man kann sich die Gefühle ja nicht aussuchen. Wenn sie kommen, dann kommen sie und es dauert dann auch, bis sie weggehen und das ist dann immer so ein schmerzhafter Prozess. Also, Verliebtsein ist für mich immer so halb halb: ein sehr gutes Gefühl. Man hat viel mehr Motivation und ein bisschen mehr Sinn und dann ist da dieses Schmerzhafte, und man weiß nicht, was man damit machen soll, wie man die Gefühle am besten unterdrücken kann. Das ist ja dann auch schwierig.”

Chihiro hört gern K-Pop, also Korean Pop. Beim Thema Lovesong fällt ihr ein Titel ein, den sie bei Liebeskummer hört und diesen „damit füttert”. Es ist „Bullet to the heart” von Jackson Wang, ein „Anti-Liebes-Song” wie sie sagt. Auch „LOSER=LOVER” von TXT mag sie gern.  

Connected
Im Moment lebt sie nicht in einer Liebesbeziehung, hat aber dafür eine um so genauere Vorstellung, wie die perfekte Liebe aussähe. Das Wichtigste dabei ist, dass man über alles offen sprechen kann, auch über eventuelle Probleme in der Partnerschaft, ohne dass es gleich zum Streit kommt oder die Beziehung zerbricht. Darüber hinaus ist die gegenseitige Unterstützung bei Entscheidungen von zentraler Bedeutung, aber auch, dass beide Seiten gleichermaßen in die Beziehung investieren und durch Schreiben, Telefonieren und regelmäßige Treffen in Verbindung bleiben, um sich nicht auseinanderzuleben. „Wenn man sich liebt, wollen das ja beide Parteien eigentlich nicht.” 

Eine Zeit lang nutzte Chihiro Bumble, eine Dating-App, die sie auf einer Skala von eins bis zehn mit einer sieben bewerten würde. Klassische Beziehungsthemen wie Heiraten oder Kinder sind für sie weit weg. Als Neunzehnjährige sei es zu früh, über so etwas überhaupt nachzudenken und das begründet sie so: Alles ist noch in Bewegung: „Wenn man jetzt irgendjemanden kennenlernt, dann weiß man eigentlich schon, dass das nicht so lange hält.” Das empfindet sie aktuell als die größte Herausforderung.

Dann frage ich Chihiro, ob „Liebe” überhaupt ein wichtiges Thema für sie ist. „Ja, weil wir im Endeffekt eigentlich alle Personen haben, die wir lieben”. Selbst wenn manchen Menschen das Wort „Liebe“ zu stark vorkommt und sie im Zusammenhang mit Freundschaft und Familie eher „mögen“ verwenden, hat sie da keine Berührungsängste. „Ich finde, man kann auch schon viele Dinge, viele einfache Dinge lieben. Deswegen finde ich das schon wichtig, auf jeden Fall!”

Vielfalt und Fantasie 
Liebe ist überall, nicht nur zwischen Mann und Frau. Chihiro arbeitet gerade in einem SOS-Kinderdorf hier in Hamburg mit Kindern, die etwa zwölf Jahre alt sind und betreut dort ein Café und einen Second-Hand-Kinderkleiderladen. Was sie liebt, erzählt sie mit leuchtenden Augen:

„Ich liebe es, mit Menschen zu tun zu haben – ich arbeite auch in einem sozialen Bereich. Ich liebe es, diese Vielfalt von Menschen zu sehen, vor allem bei Kindern und Jugendlichen.”

Chihiro

Was sie noch gern mag, sind fantasievolle Geschichten in Videospielen. „Ich liebe es, mich von Horrorgeschichten gefangennehmen zu lassen. Oft haben solche Spiele auch ganz schöne Hintergrundgeschichten.

Nach einem Bild gefragt, das spontan vor ihrem geistigen Auge beim Begriff „Liebe” aufploppt, antwortet Chihiro: „rosa Farben, die rosarote Brille, das Herz und die Herzgeste.“ Das setzen wir dann später im Fotoshooting gemeinsam um. Als Emoji nutzt sie daneben gern die blauen sich umarmenden Emojis, die sie mir spontan auf dem Handy zeigt. 

Danke, Chihiro, für deine Zeit und die Offenheit, deine Gedanken und Erfahrungen zum Thema „Liebe” zu teilen.

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