Vaterliebe

Vaterliebe

Nach dem Aufruf vom Kulturzentrum BiM, am Projekt „Liebe” teilzunehmen, meldet sich Margitta als Erste. Sie hat eine überirdische Liebe für sich entdeckt, die ihr im Alltag hilft und möchte gern ihre Geschichte erzählen. An einem sonnigen Herbstnachmittag lädt sie mich zu sich nach Hause ein. Als ich mein Fahrrad anschließe, winkt sie mir schon vom Balkon aus zu. Ich trete in ihre helle Wohnung ein. Im Wohnzimmer hängen mehrere Kreuze an der Wand, eine Krippe steht links vom Fernseher, eine Holzlampe in Kreuzform rechts davon. Auf einer Karte steht der Spruch: „Überall wird man älter, nur bei Jesus wird man Jünger.”

Allen Teilnehmenden wird als erste Frage gestellt: „Was verbinden Sie persönlich mit dem Begriff ‚Liebe‘ „? Die Antwort von Margitta ist eindeutig: „Die Liebe meines Vaters im Himmel und die Liebe von Jesus, das ist mein großer Bruder.” Doch das war nicht Liebe auf den ersten Blick. Es brauchte mehrere Anläufe für Margitta, bis sie diese Liebe für sich entdeckt und angekommen war.

Vaterlos
„Ich habe als Kind sehr darunter gelitten, dass ich keinen Vater hatte. Der war jahrelang vermisst und später kriegten wir dann eben doch Bescheid, dass er gefallen ist.” Sie wuchs mit ihren beiden Geschwistern und ihrer Mutter in Flensburg auf. Dort wohnten sie aufgrund der Wohnungsnot nach dem Krieg elf Jahre lang im Lager zur „Exe”. „Das war früher ein Exerzierplatz und wenn in Flensburg was los war, dann war das bei uns vorm Fenster: Zirkus, Eisrevue, Jahrmarkt und eines Tages eben auch die Zeltmission.” Als Kind kam sie dort zum ersten Mal mit den Flanelltafeln in Berührung, die Bilder von Jesus und seinen Jüngern zeigten. Doch zunächst ordnete sie das in die Welt der Märchen ein, die sie ebenfalls liebte, auch wenn ihr Herz bei den Bildern von Jesus schon „vor Freude klopfte”, wie sie sich erinnert. 

Suche
Die harten Schicksalsschläge in der Familie rüttelten sie auf. Der Vater war mit 38 gefallen, die Mutter mit 39 gestorben und ihr Bruder ebenfalls mit 39 tödlich verunglückt. Das machte ihr Angst und sie dachte bei sich: „Oh, das ist ja wie so ein Fluch! Jetzt bin ich auch bald dran. Ich will mich mal auf die Suche nach Gott machen.” Sie war damals zwar evangelisch konfirmiert, aber noch nicht so tief gläubig.

Zu dem Zeitpunkt war sie geschieden und hatte bereits zwei Söhne. Viele Jahre machte sie sich Vorwürfe, den falschen Mann geheiratet zu haben. „Mein Mann hat viel getrunken und wenn ich dann immer so unglücklich war, dann hab ich schon im Sessel gesessen und hab geheult und gedacht ‘Keiner kann mir helfen.’ Wenn ich da schon Gott gekannt hätte, dass das mein Vater ist, dann wäre das leichter gewesen!”

Wie sie Gott finden sollte, wusste sie aber nicht genau. Also ging sie erst einmal in die Kirche. Aber sie mochte die faden Gesänge und langweiligen Predigten nicht: „Der Pastor dort, der hatte nicht so richtigen Schwung.” Auch später ging sie in einem heißen Sommer nur in die Kirche, um sich abzukühlen und auszuruhen. „Ich hab einfach nur da still gesessen und die Kühle und die Stille genossen.” 

Der Mann fürs Leben
Gebetet hat sie damals noch nicht – bis zu jenem Moment, wo sie im „Grundkurs des Glaubens” in der Petri-Kirche auf einen engagierten Pastor traf. „Da hörte ich das Evangelium so lebendig und so packend wie noch nie zuvor in den anderen langweiligen Kirchen”, sagt sie und lacht. Da ihr damals zum Glück „nur noch der richtige Mann” fehlte, fühlte sie es plötzlich mit einer “riesengroßen Freude im Herzen”.

„Das ist es, Mensch! Jesus ist der Mann fürs Leben!”

Margitta

Seit diesem Tag vor über 40 Jahren widmet sie Jesus ihr Leben und ist überzeugt davon, dass es die beste Entscheidung ihres Lebens war. Margitta spricht in diesem Zusammenhang sogar von „Wiedergeburt”.

Heilung
Über die Nähe zu Jesus fand sie über einen tränenreichen Weg schließlich auch die Liebe von Gott, den sie bis heute als ihren „Vater im Himmel” bezeichnet. Der Wunsch nach einem Vater, der bedingungslos liebt, war seit ihrer Kindheit sehr stark, doch: „Einen Vater kannte ich ja nicht. Ich wusste ja nicht, was ein Vater ist”. Während eines Glaubenskongresses brachte die Veranstaltung „Heilung der Vaterbeziehung”, die sie sehr aufwühlte, die ersehnte Wende. Durchdrungen von einer großen Liebe ist sie sich seitdem sicher: „Gott ist mein Vater und Jesus mein Bruder.” Nun hatte Margitta wieder beides: einen Vater und einen Bruder, die ihr zuvor im Leben genommen worden waren. Den Moment der Bekehrung beschreibt sie so:

„Das war so ein Glücksgefühl, so eine große Freude, wie ich es in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt habe. Übernatürlich würde ich sagen.” 

Margitta

Ausdruck
An Jesus mag sie besonders, dass er so kinderlieb war,  Schwachen geholfen und Leidende getröstet hat. „Ich gebe mir Mühe, dass Jesus durch mich durchscheint.” Sie lacht. „Manche sagen ja, ich strahle immer und ich bin immer freundlich und hilfsbereit. Ich helfe auch gerne, ich sammle Müll und wenn mich jemand um etwas bittet, dann tu ich das.” 

Allerdings ist es nicht so, dass Margitta jeden Tag diese Liebe ganz intensiv fühlt und himmelhoch jauchzt. „Es ist eher so eine gleichmäßige Zufriedenheit.” Und davon abgesehen, ein Engel sei sie deshalb noch lange nicht. „Ich bin auch nur ein Mensch. Ich bin manchmal auch ‘ne alte Hexe oder ‘ne Zicke”, gibt sie lachend zu.  

Jeden Tag trägt Margitta eine silberne Jesus-Brosche mit kleinen funkelnden Steinchen. Sie hat gleich mehrere davon, eine ist immer an ihrer grünen Jacke angesteckt. Daran erkennt man sie. Als sie früher einmal beim Empfang arbeitete, suchte jemand nach der „Frau Jesus”, weil vermutet wurde, dass das ihr Name sei. 

Lektüre
Glauben und Fühlen der Liebe stehen auf der einen Seite. Doch für Margitta ist auch die Beschäftigung mit der Bibel wichtig. Jeden Morgen liest sie ein paar Kapitel und schlägt ihr Gesangsbuch auf. Sie hat viele Lieblingsbibelstellen, zum Beispiel: „Kommt her zu mir, alle die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken” oder: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt”. Auch hier steht für sie wieder das Lindern von Leid im Vordergrund beziehungsweise das Nicht-Allein-Sein. 

Zur Sicherheit guckt sie schon um Viertel vor acht den ersten Gottesdienst im Fernsehen, falls der in der Kirche später „nicht so prickelnd” ist, wie sie schmunzelnd erzählt. Obwohl sie tiefgläubig ist, gerät sie schon bisweilen mit Pfarrern in Konflikt. Doch: „Ein Sonntag ohne Gottesdienst, das ist nix für mich.”

Auch für das Judentum hat Margitta etwas übrig. Eine Menora in ihrem Wohnzimmer erinnert an den Aufenthalt in Israel, wo sie 14 Monate als Köchin gearbeitet hat. „Ich interessiere mich für das Judentum und ich finde es schrecklich, was die Deutschen damals den Juden angetan haben und was auch heute überall in der Welt den Juden angetan wird.”

Zum Abschied schenkt sie mir Schokolade für meine Kinder und ein Buch über Jesus. Darin wird beispielsweise der Unterschied zwischen den griechischen Liebesbegriffen „Agape” und „Eros” erklärt. Der erste Begriff verweist auf die selbstlose Liebe zu anderen Menschen (Nächstenliebe) und zu Gott, der zweite auf die sexuelle Anziehung zwischen Mann und Frau.

Nach diesem Gespräch habe ich verstanden, dass Margitta für sich persönlich einen Weg gefunden hat, den vermissten Vater im Leben auf ihre Weise wiederzufinden und dass es ihr gelungen ist, eine von menschlichen Beziehungen unabhängige Liebeskonstante im Leben zu finden, die ihr Kraft gibt, die sie zufrieden macht und die sie motiviert, anderen zu helfen. 

Als ich das Fahrrad vorm Haus abschließe, winkt sie mir wieder lächelnd vom sonnenbeschienenen Balkon aus zu, mit dem ich jetzt immer eine ganz andere Art von Liebesgeschichte verbinden werde. Vielen Dank, Margitta, für den Mut, uns deine persönliche Lebensgeschichte zu erzählen.